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Alfred Herrhausen

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Alfred Herrhausen (* 30. Januar 1930 in Essen; † 30. November 1989 in Bad Homburg vor der Höhe) war ein deutscher Bankmanager und Vorstandssprecher der Deutschen Bank.

Unter seiner Führung stieg die Deutsche Bank durch eine Reihe von strategischen Umstrukturierungen und Zukäufen in die Spitzengruppe der international agierenden Geschäftsbanken auf. Er gab der Bank eine neue Unternehmensstruktur, die lange Bestand hatte, und machte sie zum unangefochtenen Marktführer in Westdeutschland.

Herrhausen galt in fachlicher und persönlicher Hinsicht als Ausnahmeerscheinung unter den deutschen Spitzenmanagern. Viele Beobachter betonten seine unternehmerische und intellektuelle Brillanz, wobei seine häufig unkonventionellen Konzepte und Gedanken oft Kritik von Vorstandskollegen und der Bankenwelt hervorriefen. So betonte er etwa öffentlich, dass Banken mit ihrer Macht verantwortungsvoll umgehen müssten, und forderte mehr Transparenz und Offenheit. 1987 und erneut 1988 stieß er mit Forderungen nach einem wirtschaftlich und ethisch begründeten Schuldenerlass für hochverschuldete Entwicklungsländer auf massiven Widerstand der internationalen Finanzwelt.

Herrhausen starb bei einem gegen ihn gerichteten Bombenattentat. Am Tag nach der Ermordung zogen etwa 10.000 Menschen in einem Schweigemarsch durch das Frankfurter Bankenviertel. Die linksterroristische Rote Armee Fraktion (RAF) bekannte sich zu dem Mord; die Täter konnten nicht ermittelt werden.

Leben

Alfred Herrhausen und seine Zwillingsschwester Anne wurden in Essen als Kinder des Vermessungsingenieurs Karl Herrhausen und dessen Frau Hella geboren. Herrhausen besuchte in seiner Kindheit das Carl-Humann-Gymnasium in Essen-Steele und die NS-Ausleseschule Reichsschule Feldafingder NSDAP. Nach dem Zweiten Weltkrieg studierte er Betriebs- und Volkswirtschaftslehre in Köln, wo er sich dem Corps Hansea anschloss. Er wurde 1955 bei Theodor Wessels mit einer Dissertation zum Thema Grenznutzen als Bestandteil des Marginalprinzips promoviert.

Beruflicher Aufstieg

Nach Tätigkeiten bei der Ruhrgas AG und den Vereinigten Elektrizitätswerken Westfalen (VEW) wurde er vom damaligen Vorstandssprecher Friedrich Wilhelm Christians 1969 zur Deutschen Bank geholt. Dort berief man ihn 1970 zum stellvertretenden und 1971 zum ordentlichen Vorstandsmitglied. 1974 wurde er von der Bundesregierung in die Bankenstrukturkommission berufen. Aufgrund der Scheidung von seiner ersten Frau Ulla im Jahr 1977 geriet Herrhausen innerhalb des Vorstandes in eine gewisse gesellschaftliche Isolation, die Christians durch eine private Einladung schließlich demonstrativ durchbrach. 1983 wurde Herrhausen zusammen mit zwei weiteren „Stahlmoderatoren“ von der Bundesregierung beauftragt, ein Konzept zur Neuordnung des deutschen Stahlmarkts zu erstellen. Nach dem Ausscheiden Wilfried Guthswurde er im Mai 1985 neben Christians einer von zwei Sprechern des Vorstands. 

Am 11. Mai 1988 rückte er zum alleinigen Vorstandssprecher auf. Herrhausen betrieb den Umbau der Konzernstrukturen der Deutschen Bank mit Nachdruck und machte die Bank zum unumstrittenen Marktführer in Deutschland. Schwerpunkte lagen auf einem konsequenten Allfinanzkonzept und der Internationalisierung des Konzerns. Hierzu gehörten die Gründung der Deutsche Bank Bauspar AG und der Deutsche Bank Lebensversicherungs AG sowie die Übernahme der britischen Investmentbank Morgan Grenfell 1989, deren Planung am 27. November 1989 – drei Tage vor seinem Tod – bekanntgegeben wurde.

Schuldenerlass für Entwicklungsländer

Als untypisch für einen Manager gilt sein Interesse für die Belange der Dritten Welt. Schlagzeilen machte sein Eintreten für einen teilweisen Schuldenerlass für Entwicklungsländer auf einer Tagung der Weltbank in Washington im Jahre 1987. Herrhausen war kurz zuvor bei einer Tagung des Internationalen Währungsfonds auf die Idee gekommen, als ihm der mexikanische Präsident Miguel de la Madrid Hurtadodie katastrophale wirtschaftliche Lage seines Landes geschildert hatte. Nach einem zwischenzeitlichen Widerruf wegen massiver Proteste der Finanzwelt stellte er die Forderung abermals im Kreise der Bilderberg-Konferenz des Jahres 1988. Bei der Schuldenkrise der weniger entwickelten Länder handelte es sich damals, nach Herrhausens Diagnose, um ein andauerndes Solvenzproblem, also um eine andauernde Zahlungsunfähigkeit, die durch erhöhte Schulden nicht lösbar sei. Ein teilweiser Verzicht der Gläubigerbanken war nach seiner Ansicht daher nicht nur aus moralischen Gründen geboten, sondern auch im langfristigen Interesse der Gläubiger. Die internationale Bankenwelt war von seinem Vorschlag empört. Es wird teilweise darüber spekuliert, inwieweit er dieses Konzept auch dazu nutzen wollte, die Position der Deutschen Bank gegenüber den großen US-Banken zu stärken. Deren Kredite an die armen Länder waren – bedingt durch das damalige amerikanische Bankenrecht – bedeutend schlechter abgesichert als die seines eigenen Instituts, was sie zu potenziellen Kandidaten für eine feindliche Übernahme durch die Deutsche Bank hätte machen können – wenn seine Idee umgesetzt worden wäre.

Als Walter Seipp, der Chef der Commerzbank, ihm deswegen öffentlich „unsolidarisches Verhalten“ gegenüber anderen Banken vorwarf, wies Herrhausen dies mit einer typischen rhetorischen Spitze zurück: Die Deutsche Bank brauche „keine Nachhilfe in Solidarität“, zudem könne solidarisches Verhalten nicht bedeuten, „das Denken einzustellen“. Nach Herrhausens Tod tat sein Nachfolger Hilmar Kopper den Vorschlag des Schuldenerlasses für die armen Länder als „intellektuelle Bemerkung“ ab, womit die Idee sich mangels Fürsprecher erledigt hatte. Wie auch bei mehreren anderen von ihm früh wahrgenommenen Problemfeldern wurde ein Schuldenerlass – lange nach seinem Tod – umgesetzt (siehe die Geschichte der HIPC-Initiative).

Auftreten und Wirkung

Herrhausen galt als Ausnahmeerscheinung unter den deutschen Spitzenmanagern. Von vielen Beobachtern wurde seine intellektuelle, rednerische und unternehmerische Brillanz hervorgehoben. Dies machte ihn sowohl zu einem gefragten Interviewpartner für die Medien als auch zu einem wichtigen Berater für Politiker wie Helmut Kohl. Gleichzeitig konnte er mitunter unwirsch reagieren, wenn Kollegen und Mitarbeiter seinen Analysen nicht folgen konnten oder seiner Meinung nach ein Thema nicht wirklich verstanden. Er galt als exzellenter Zuhörer. Er konnte seinem Gegenüber das Gefühl geben, dass er dessen Meinung und Person respektiere und sich völlig auf ihn konzentriere. Dabei kam dem sozialen Status seines Gesprächspartners keine besondere Bedeutung zu. Weggefährten bescheinigten ihm die Fähigkeit, mit Arbeitern der Daimler-Benz AG, deren Aufsichtsrat er leitete, ebenso gut umgehen zu können wie mit Studenten und Schülern.

Die von Herrhausen eingeleitete strategische Umgestaltung der Deutschen Bank wird im Rückblick als visionär bewertet, da er Entwicklungen in der Finanzwelt vorhersah und konsequent umsetzte, die sich damals noch kaum abzeichneten und erst Jahre später Realität werden sollten. Dazu gehörte etwa das Allfinanzkonzept oder der Ausbau des Investmentbereichs mit dem Erwerb der britischen Investmentbank Morgan Grenfell.

Herrhausen bemühte sich in zahlreichen Vorträgen und Interviews um ein besseres Image der Banken. Er betonte die Verantwortung der Banken und ihrer Manager. Er beteiligte sich aktiv an der Diskussion um die „Macht der Banken“. Sie hatte sich auch an den zahlreichen Industriebeteiligungen der Deutschen Bank entzündet. Sein bekanntestes, auf die Deutsche Bank bezogenes Zitat war: „Natürlich haben wir Macht. Es ist nicht die Frage, ob wir Macht haben oder nicht, sondern die Frage ist, wie wir damit umgehen, ob wir sie verantwortungsbewusst einsetzen oder nicht.“

Bankinterne Konflikte

Mit seiner starken persönlichen Ausstrahlung, rednerischer Brillanz, seinem energischen Auftreten und einer schonungslosen Offenheit eckte Herrhausen bei seinen Vorstandskollegen oft an. Immer wieder beklagte er sich über die „Bedenkenträger“ im eigenen Haus. Das Missfallen beruhte teilweise auf Gegenseitigkeit: „Herrhausen war ein intellektueller Snob, der andere die Arroganz des Hochbegabten spüren ließ“, erinnerte sich ein früherer Kollege bei der Deutschen Bank. Private Kontakte mit seinen Vorstandskollegen pflegte er nicht.

Herrhausens Versuch, eine tiefgreifende Umstrukturierung der Deutschen Bank durchzusetzen, führte zu heftigen Auseinandersetzungen mit anderen Führungsmitgliedern. Seine Position in der Bank war stark geschwächt; zwei Tage vor seinem Tod erklärte er intern seinen Rücktritt als Vorstandssprecher zum 30. Januar 1990, seinem 60. Geburtstag.

Privatleben

Herrhausen war seit 1953 in erster Ehe mit Ulla Sattler, Tochter des Generaldirektors der Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen AG (VEW), Paul Sattler, verheiratet. 1974 lernte er während eines Aufenthaltes in Texas seine zweite Frau, die in Österreich geborene Ärztin Waltraud Baumgartner kennen, die er 1977 heiratete. Traudl Herrhausen war nach dem Tod ihres Mannes für die CDU von 1991 bis 2003 Abgeordnete im hessischen Landtag. Herrhausen hatte zwei Töchter, Bettina (* 1959) aus der ersten und Anna (* 1978) aus der zweiten Ehe.

In einer Talkshow lernte Herrhausen 1982 die 30 Jahre jüngere Politik- und Literaturstudentin Tanja Neumann kennen, die dort als Vertreterin der No Future-Generation eingeladen war. Er war von der jungen, politisch linken Studentin verblüfft, die ihm anschließend die Meinung sagte und ihre polit-ökonomischenZukunftsvorstellungen erklärte. Ein langer Briefkontakt (ihrerseits) und Telefonate sowie Treffen dieser „sehr besonderen Freundschaft“ folgten bis zum Attentat. Neumann reflektierte, sie sei für Herrhausen „eine geistige Tankstelle“ gewesen; er habe mit jemandem sprechen wollen, „der andere Werte verkörperte, nicht an Geld und Karriere dachte“. Herrhausens Ehefrau Traudl lud sie zur Trauerfeier ein, übergab ihr vier Jahre später die Briefe, die ihr Mann aufbewahrt hatte, und schenkte ihr als Andenken seinen Füllfederhalter.

Attentat und Tod

Mahnmal an der Stelle der Ermordung in Bad Homburg; Zwei Basalt-Stelen mit jeweils eingravierten Zitaten von Ingeborg Bachmann und Karl Popper. Die dritte Stele ist gebrochen und trägt Uhrzeit und Datum von Herrhausens Tod

Herrhausen war sich der potentiellen Bedrohung durch terroristische Anschläge bewusst. Seit der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberverbands-Präsidenten Hanns Martin Schleyer im September 1977 hatte er nach Angaben seiner Ehefrau einen Brief im Nachtschrank, in dem stand, dass man bei seiner möglichen Entführung und eventuellen Erpressung der Bundesrepublik Deutschland den Forderungen nicht nachgeben solle.[12] Seit dem Frühsommer 1989 hatte es einen konkreten Gefährdungshinweis gegeben, sein Sicherheitskonzept, das auf die stärkste Gefährdungsstufe angepasst worden war, wurde im Juli 1989 nur noch sporadisch durchgeführt; ab September gab es mehrere Anzeichen, dass die RAF Herrhausen ins Visier nahm.

Am Morgen des 30. November 1989 verließ Herrhausen sein Haus im Ellerhöhweg in Bad Homburg, um sich in seinem Dienstwagen vom Typ Mercedes zur Arbeit fahren zu lassen. Nach einer Fahrzeit von etwa drei Minuten detonierte um 8:34 Uhr im Seedammweg (♁⊙) zwischen Taunustherme und Seedammbad eine Bombe, die sich auf einem präparierten Fahrrad am Straßenrand befand. Herrhausen, der hinten rechts im Fahrzeug saß, kam bei dem Attentat ums Leben, sein Chauffeur wurde nur leicht verletzt.

Sprengfalle

Die Bombe befand sich in einem Paket von der Größe einer Schultasche auf dem Gepäckträger des Fahrrads. Sie bestand aus einer schweren Kupferplatte, welche auf einer Seite mit etwa 7 Kilogramm des Sprengstoffs TNT beschichtet worden war. Diese in panzerbrechenden Waffen verwendete Anordnung setzt aufgrund des Misznay-Schardin-Effekts die Explosionsenergie zielgerichtet frei (projektilbildende Ladung). Technisch gesehen war es daher keine Hohlladungsmine, so wie in dem später aufgetauchten Bekennerschreiben fälschlich behauptet wurde, und was auch Behörden anfangs verbreiteten. Als Herrhausens Wagen durch eine vorher installierte Lichtschranke fuhr (Sprengfalle), explodierte die Bombe, deren Druckwelle genau auf die hintere Seitentür des gepanzerten Mercedes-Benz der S-Klasse traf. Der Wagen wurde durch die Wucht der Druckwelle in die Luft gehoben, gedreht und blieb quer zur Fahrtrichtung liegen. Ein durch die Explosion abgesprengtes, scharfkantiges Teil der inneren Türverkleidung verletzte Herrhausens Oberschenkelschlagader. Er starb innerhalb weniger Minuten an starkem Blutverlust.

Vergeblicher Einsatz des Fahrers

Sein Fahrer Jakob Nix war durch Splitter an Kopf und Arm verletzt worden. Während die Personenschützernoch in dem Begleitfahrzeug saßen, ließ er sich aus dem Wagen fallen und ging dann um das zerstörte Fahrzeug herum zu Herrhausens Tür, die aus den Angeln gerissen war. Wegen seines verletzten Arms konnte er aber nicht zugreifen; es gelang ihm nicht, Herrhausen aus dem Wagen zu ziehen. Er wurde kurz darauf von einem der ersten hinzugekommenen Personenschützer vom Fahrzeug weggeführt. Nix litt noch lange Zeit unter dem Trauma, dass er seinem Chef nicht hatte helfen können, zu dem in 19 Jahren Dienstzeit ein enges Verhältnis entstanden war und mit dem er sich duzte.

Ungereimtheiten

Der Journalist Christoph Gunkel weist auf aus seiner Sicht ungewöhnliche Umstände hin: Die als Baustelle getarnten Arbeiten, bei denen man die Kabel für die Lichtschranke verlegte (sie waren allerdings von kurzer Dauer; nach Angaben von Augenzeugen wurde nach ihrer Beendigung das Baustellenschild vergessen und stand wochenlang am Rand der Fahrbahn), der große materielle und technische Aufwand sowie der Einsatz einer Bombe militärischer Bauart mit dem Sprengstoff TNT entsprachen nicht der bisherigen Vorgehensweise der RAF. Überdies waren die auffälligen Vorbereitungen zu dem präzise geplanten Anschlag weder der Polizei noch dem Bundeskriminalamt verdächtig vorgekommen, obwohl Herrhausen zum Kreis der am stärksten gefährdeten Personen in der Bundesrepublik gehörte und die Umgebung seines Hauses ständig überwacht wurde. Das normalerweise eingesetzte, vorausfahrende zweite Begleitfahrzeug wurde laut dem damaligen Verfassungsschutzpräsidenten Richard Meier kurz vor dem Attentat abgezogen.

Ergebnislose Ermittlungen und Täterschaft der RAF

Bekenntnis zur Tat durch die RAF

Die Verantwortlichen des Attentats konnten nicht ermittelt werden, die Rote Armee Fraktion (RAF) bekannte sich aber am Nachmittag des Attentats per Anruf bei den Herrhausens zur Tat. Am Tatort wurde unter der Sprengvorrichtung ein in einer Plastikfolie eingeschweißtes DIN-A 4-Blatt gefunden, auf dem sich das RAF-Logo und die Aufschrift „Kommando Wolfgang Beer“ befanden. Ebenso erhielten drei Presseagenturen fünf Tage nach dem Anschlag ein auf den 2. Dezember datiertes Selbstbezichtigungsschreiben, in dem sich die RAF zum Mord an Herrhausen bekannte: „Am 30. 11. 1989 haben wir mit dem Kommando Wolfgang Beer den Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, hingerichtet, mit einer selbstgebauten Hohlladungsmine haben wir seinen gepanzerten Mercedes gesprengt.“ Das Schreiben begründete den Anschlag mit der Geschichte der Deutschen Bank und der Rolle Herrhausens als ihr leitender Repräsentant: „Durch die Geschichte der Deutschen Bank zieht sich die Blutspur zweier Weltkriege und millionenfacher Ausbeutung, und in dieser Kontinuität regierte Herrhausen an der Spitze dieses Machtzentrums der deutschen Wirtschaft; er war der mächtigste Wirtschaftsführer in Europa.“ Der Text folgte dem üblichen Aufbau der Bekennerschreiben der dritten RAF-Generation (zuerst Opferauswahl, dann allgemeine politische Bewertung), wich aber durch die relativ einfache Sprache von den früheren Äußerungen ab. Das Bundeskriminalamt sah darin Parallelen zu einer Äußerung Eva Haules aus dem November 1988 und einem veröffentlichten Brief Helmut Pohls vom November 1989, weshalb es davon ausging, dass dieses Schreiben maßgeblich von damals inhaftierten RAF-Mitgliedern bestimmt worden sei: „Die RAF-Köpfe sitzen alle drinnen.“

Auch spätere Aussagen ehemaliger RAF-Mitglieder weisen ihr die Tat eindeutig zu, darunter von Birgit Hogefeld, Eva Haule („Hier noch mal klipp und klar: die RAF war verantwortlich u. a. für die Aktionen gegen Alfred Herrhausen“) und Christian Klar.

Beschuldigungen durch einen Kronzeugen

Trotz des Bekenntnisses der RAF hatten die Ermittler, wie Bundeskriminalamts-Präsident Hans-Ludwig Zachert im März 1991 einräumte, keine konkrete Spur zu den individuellen Tätern. Am 21. Januar 1992 präsentierten die Ermittlungsbehörden einen vermeintlich spektakulären Fahndungserfolg. Siegfried Nonne, ein Angehöriger der linksradikalen Szene, der gelegentlich V-Person des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz war, belastete in einer umfangreichen Aussage sich selbst, Christoph Seidler, Andrea Klump sowie zwei weitere ihm nur als Stefan und Peter bekannte Männer. Er gab an, dass die vier RAF-Terroristen gewesen seien und vor dem Anschlag längere Zeit in seiner Bad Homburger Wohnung gelebt hätten. Außerdem sei er selbst an der Planung beteiligt gewesen. Der Generalbundesanwalt erließ daraufhin Haftbefehle gegen Christoph Seidler und Andrea Klump. In Nonnes Keller wurden äußerst geringe Spuren von Sprengstoff gefunden, allerdings von anderen Substanzen (2,4-Dinitrotoluol, 2,4-Dinitroethylbenzol und Spuren von Nitroglycerin) als dem beim Anschlag verwendeten Trinitrotoluol (TNT). Nonnes Halbbruder Hugo Föller stellte dessen Aussage umgehend in Frage. Er hatte mit seiner Ehefrau lange in der Bad Homburger Wohnung des Kronzeugen gelebt, befand sich jedoch zum Zeitpunkt von Nonnes Aussage im Krankenhaus, wo er vom Bundeskriminalamt vernommen wurde. Er behauptete, er sei erst zwei Monate nach dem Attentat ausgezogen und habe keinen Fremden im Haus gesehen. Föller starb noch im Januar, wenige Tage nach Nonnes Aussage, im Alter von 42 Jahren an einer Lungenentzündung. Andere Bewohner des Hauses bestätigten Föllers Aussage, dass sich zu keinem Zeitpunkt unbekannte Personen länger im Haus aufgehalten hätten.

Widerruf und Zweifel

In einer Sendung des WDR-Magazins Monitor vom 1. Juli 1992 widerrief Nonne vor laufender Kamera seine gesamte Aussage. Er gab gegenüber den Journalisten an, dass er von Mitarbeitern des hessischen Verfassungsschutzes mit kaum verhohlenen Morddrohungen (er sei ja suizidgefährdet, man könne da nachhelfen) zu seiner Aussage genötigt worden sei. Ein BKA-Mitarbeiter, der einen der Autoren wenige Tage nach der Sendung anrief, bestätigte Nonnes Angaben und legte bei einem Treffen mit dem Autor Mitte Juli 1992 Unterlagen vor, aus denen hervorging, dass der hessische Verfassungsschutz von sich aus mit Nonne Kontakt aufgenommen hatte. In der Folge wurde bekannt, dass Nonne mehrfach in psychiatrischerBehandlung gewesen war und unter Alkohol- und Drogenproblemen litt. Erst vier Tage bevor er sich erstmals mit seinen Aussagen an den Verfassungsschutz gewandt hatte, war er aus einem halbjährigen Aufenthalt in der Psychiatrie entlassen worden. Die Diagnose lautete damals: „Länger anhaltende depressive Reaktion mit suizidalen Gedanken, Polytoxikomanie inklusive Morphin, Persönlichkeitsstörung auf Borderline-Niveau.“ Zwei von den Behörden beauftragte Gutachten bescheinigten Nonnes Aussagen dennoch Glaubhaftigkeit. Damit war fraglich, ob Nonnes erste Aussage oder sein Widerruf als gültig angesehen werden sollte. Die Behörden entschieden sich dafür, seine Aussage als glaubhaft, den Widerruf dagegen als unglaubwürdig einzustufen, wodurch die Haftbefehle gegen die beiden von ihm benannten Täter bestehen blieben. Später revidierte Nonne seinen Widerruf, da er bedroht und genötigt worden sei, diesmal von den Monitor-Journalisten. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Mittäterschaft wurde 1994 unter Anwendung der Kronzeugenregelung wegen seiner Beteiligung an der Tataufklärung eingestellt.

Viele Seiten äußerten Zweifel an Nonnes Glaubwürdigkeit. Seine Aussagen und die darauf aufgebaute Version der Behörden gelten in einer Reihe von Punkten als unstimmig. Am 13. Februar 1995 stellte die Bundestagsfraktion der Grünen eine kleine parlamentarische Anfrage mit dem Titel Der Kronzeuge Siegfried Nonne und die Rolle der Sicherheitsbehörden an die Bundesregierung, die sich in wesentlichen Teilen auf Aussagen des Buches Das RAF-Phantom bezog, das die WDR-Journalisten inzwischen über die vermeintlich inexistente dritte RAF-Generation geschrieben hatten.[29] Die Bundesregierung antwortete, die Aussagen Nonnes würden auch weiterhin als glaubwürdig angesehen.

Aufhebung der Haftbefehle

Das Festhalten des Generalbundesanwalts an Nonnes Aussagen wurde vielfach kritisiert. Als sich der Beschuldigte Christoph Seidler 1996 den deutschen Behörden im Rahmen eines Aussteigerprogrammes stellte, präsentierte er für die Tatzeit ein Alibi; der Bundesgerichtshof hob den Haftbefehl gegen Seidler daraufhin gegen den Willen des Generalbundesanwalts auf. Eine Beschwerde dagegen wurde 1997 mit dem Hinweis auf die Unglaubwürdigkeit des Kronzeugen Nonne abgelehnt. Seidler befindet sich seitdem auf freiem Fuß. Er wurde außerdem von dem Vorwurf der RAF-Mitgliedschaft entlastet, der einzig auf Nonnes Aussagen beruhte. Auch der Haftbefehl gegen Andrea Klump wurde deshalb aufgehoben. Sie wurde wegen anderer terroristischer Verbrechen zu einer Haftstrafe verurteilt, eine Anklage wegen ihrer vermeintlichen RAF-Mitgliedschaft wurde 2001 fallen gelassen. 2004 wurde auch das Ermittlungsverfahren gegen Klump aus Beweismangel eingestellt und fortan gegen Unbekannt ermittelt.

Der Spiegel bilanzierte im Jahr 2009, „die sensationelle Wende [durch Nonnes Aussagen] wurde zur Justizposse, die sich über Jahre hinzog und für die Bundesanwaltschaft in einem Desaster endete.“ Die FAZ schrieb zum gleichen Anlass: „Siegfried N. erwies sich als ein Psychopath, dessen Geständnis genau so wertlos war wie später sein Widerruf.“

Weitere Ermittlungen und Erkenntnisstand

Wer Alfred Herrhausen ermordet hat, bleibt ungeklärt. Das Ermittlungsverfahren läuft „gegen Unbekannt“ weiter; Ende 2014 gab es keine konkrete Verdachtsperson. Immer wieder wurde – ohne konkreten Hinweis – über die mögliche Beteiligung von Wolfgang Grams, der beim Festnahmeversuch in Bad Kleinen 1993 Suizid beging, spekuliert. An etwa 50 Haaren, die am Tatort gefunden worden waren und die 2001 untersucht wurden, fanden sich ebenso wenig verwertbare DNA-Spuren wie an den 2009 erneut untersuchten Bekennerschreiben. Laut Bundesanwaltschaft wurden die Ermittlungen im Fall Herrhausen im September 2007 wieder intensiviert. Dabei wurde auch eine Spur zur Sondereinheit AGM/S des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit verfolgt, die Terroranschläge in der Bundesrepublik planen und durchführen sollte. 2014 berichtete Egmont R. Koch, dass beim Anschlag auf René Moawad am 22. November 1989 eine gleichartige Sprengfalle verwendet wurde, was laut Wolfgang Kraushaar einen weiter zu verfolgenden Hinweis darauf gibt, dass sich die RAF in den 1980er Jahren internationalisierte und möglicherweise mit der Palästinensischen Befreiungsfront kooperierte. Im Juni 1988 hatte sich die RAF mit den italienischen Brigate Rosse über panzerbrechende Waffen ausgetauscht. Die Zeithistorikerin Petra Terhoeven hält es für wahrscheinlich, dass die RAF sich für diesen Anschlag ausländischen Know-Hows bediente.

In der zeithistorischen Forschung gilt die Verantwortlichkeit der RAF für das Attentat als gesichert; der Experte für die dritte RAF-Generation, der Regensburger Politikwissenschaftler Alexander Straßner, bezeichnet die weit verbreiteten alternativen Erklärungsversuche eines RAF-Phantoms bzw. einer Involvierung der DDR-Staatssicherheit als „unhaltbar“ bzw. „ohne Hinweise“.

Gedenken

10.000 Menschen zogen am Tag nach Herrhausens Tod um die Mittagszeit durch das Frankfurter Bankenviertel. Neben Politikern beteiligten sich auch die damaligen Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank und der Commerzbank an dem Schweigemarsch. Für Herrhausen wurde eine Totenmesse in der Frankfurter Paulskirche abgehalten, der Windsbacher Knabenchor sang das Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart.

Die Deutsche Bank gründete die gemeinnützige Alfred Herrhausen Gesellschaft,[43] eine Denkfabrik, die sich als internationales Forum mit neuen Formen des Regierens im 21. Jahrhundert beschäftigt.

In Witten ist die Alfred-Herrhausen-Straße an der Universität Witten/Herdecke nach ihm benannt; außerdem trägt die Straße in Eschborn bei Frankfurt, in der ein Teil des IT-Bereichs der Deutschen Bank seinen Sitz hat, den Namen Alfred-Herrhausen-Allee. Eine Dr.-Alfred-Herrhausen-Allee findet man im Businesspark Niederrhein in Duisburg-Rheinhausen. Das Alfred-Herrhausen-Haus in der Brunnenstraße, dem Sitz des „Initiativkreis Ruhrgebiet“ in Essen, dessen Mitbegründer er war, ist nach ihm benannt, ebenso eine Brücke in der Essener Innenstadt in der Nähe der Essener Hauptfiliale der Deutschen Bank.

Sieben Jahre nach Herrhausens Tod wurde am 30. November 1996 in Anwesenheit der Witwe und des Bad Homburger Oberbürgermeisters Wolfgang Assmann am Ort des Attentats ein von Friedrich Meyer gestaltetes Mahnmal eingeweiht. Auf den drei Basaltsäulen finden sich Zitate von Ingeborg Bachmann: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ und von Karl Popper: „Nur dort war die Gesellschaftskritik von Erfolg gekrönt, wo es die Menschen gelernt hatten, fremde Meinungen zu schätzen und zu ihren politischen Zielen bescheiden und nüchtern zu sein, wo sie gelernt hatten, dass der Versuch, den Himmel auf Erden zu verwirklichen, nur allzu leicht die Erde in eine Hölle für die Menschen verwandelt.“

Rezeption

Mit Herrhausens Lebensweg setzt sich der Dokumentarfilm Black Box BRD (2001) von Andres Veielauseinander, der parallel zu demjenigen des RAF-Terroristen Wolfgang Grams erzählt wird. Veiel veröffentlichte 2002 ein Sachbuch gleichen Namens, das Herrhausens Leben unter anderem anhand von Zeitzeugengesprächen rekonstruiert. Die Journalisten Dieter Balkhausen und Andreas Platthaus haben Biographien zu Herrhausen vorgelegt. Tanja Langer verarbeitete ihre Beziehung zu Herrhausen im 2012 erschienenen Schlüsselroman Der Tag ist hell, ich schreibe Dir. Die Erinnerung an das Attentat nahm Carolin Emcke, Patentochter Herrhausens, zum Ausgangspunkt ihrer Auseinandersetzung mit der RAF, die unter dem Titel „Stumme Gewalt“ zuerst 2007 als Zeitungsartikel und im folgenden Jahr erweitert als Buch erschien. Das Attentat war immer wieder Thema in den Medien, darunter 2009 der Dokumentarfilm Alfred Herrhausen: Der Banker und die Bombe von Ulrich Neumann; zuletzt recherchierte Egmont R. Koch zum 25. Jahrestag des Attentats 2014 in der ARD-Dokumentation Die Spur der Bombe: Neue Erkenntnisse im Mordfall Herrhausen die Herkunft der verwendeten Sprengfalle und ging dabei internationalen Terrornetzwerken nach. Die Wirtschaftshistorikerin Friederike Sattler arbeitet an der Monographie Alfred Herrhausen. Manager und Symbolfigur des Rheinischen Kapitalismus, die 2017 erscheinen soll.

Schriften

  • Der Grenznutzen als Bestandteil des Marginalprinzips. Dissertation, Universität Köln, 1955.
  • Konzepte für die Zukunft. Wirtschafts- und ordnungspolitische Alternativen. Mohr Siebeck, Tübingen 1987.
  • Denken, Ordnen, Gestalten. Reden und Aufsätze. Hrsg. von Kurt Weidemann. Siedler, Berlin 1990, ISBN 978-3-88680-399-6 (5. Auflage 1995, Neuauflage 2005).

Zeitschriftenbeiträge

  • Zielvorstellungen und Gestaltungsmöglichkeiten einer Langfristplanung in Kreditinstituten [address]. In: Bank-Betrieb. Bd. 11, 1971, S. 354–359.
  • mit Martin Kohlhaussen, Rüdiger von Tresckow: Financial futures. In: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen. Bd. 38, 1985, Nr. 15, S. 702–704.
  • Großbanken und Ordnungspolitik. In: Die Bank. Jg. 1988, S. 120–129.

Literatur

  • Dieter Balkhausen: Alfred Herrhausen. Macht, Politik und Moral. Econ, Düsseldorf u. a. 1990, ISBN 3-430-11144-7.
  • Dieter Balkhausen: Alfred Herrhausen (1930–1989). In: Hans Pohl (Hrsg.): Deutsche Bankiers des 20. Jahrhunderts. Steiner, Stuttgart 2008, S. 211–225.
  • Knut Borchardt: Erinnerung an Alfred Herrhausen. In: Historisches Kolleg 1980–1990. Vorträge anläßlich des zehnjährigen Bestehens und zum Gedenken an Alfred Herrhausen am 22. November 1990 (= Schriften des Historischen Kollegs: Dokumentationen. Bd. 8). Stiftung Historisches Kolleg, München 1991, S. 15–22 (PDF).
  • Andreas Platthaus: Alfred Herrhausen. Eine deutsche Karriere. Rowohlt, Hamburg 2006, ISBN 978-3-499-62277-9 (Rezension von Tanja Langer, Rezension von Rudolf Walther).
  • Friederike Sattler: Bewusste Stabilisierung der Deutschland AG? Alfred Herrhausen und der Diskurs über die „Macht der Banken“. In: Ralf Ahrens (Hrsg.): Die „Deutschland AG“. Historische Annäherungen an den bundesdeutschen Kapitalismus (= Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte.Bd. 20). Klartext, Essen u. a. 2013, S. 221–246.
  • Friederike Sattler: Ernst Matthiensen und Alfred Herrhausen. Zwei Wege an die Spitze bundesdeutscher Großbanken. In: Werner Plumpe (Hrsg.): Unternehmer – Fakten und Fiktionen. Historisch-biografische Studien (= Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien. Bd. 88). München 2014, S. 295–327.
  • Sebastian Sigler: Alfred Herrhausen. Corpsstudent und Vorbild. In: Einst und jetzt. Bd. 54, 2009, S. 483–504.
  • Andres Veiel: Black Box BRD. Fischer, Frankfurt 2002, ISBN 3-596-15985-7 (Rezensionsnotizen zuBlack Box BRD bei perlentaucher.de).

Ursache: wikipedia.org

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