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Massaker von Katyn

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Datumn:
05.03.1940

Beim Massaker von Katyn (auch Massenmord oder Massenerschießungen von Katyn, oft kurz Katyn) erschossen Angehörige des sowjetischen Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten (NKWD) vom 3. April bis 11. Mai 1940 etwa 4400 gefangene Polen, größtenteils Offiziere, in einem Wald bei Katyn, einem Dorf 20 Kilometer westlich von Smolensk. Diese Tat gehörte zu einer Reihe von Massenmorden an 22.000 bis 25.000 Berufs- oder Reserveoffizieren, Polizisten und anderen Staatsbürgern Polens, darunter vielen Intellektuellen. Die Massenmorde wurden vom sowjetischen Diktator Josef Stalin entschieden, daraufhin vom Politbüro der Kommunistischen Partei befohlen und an mindestens fünf verschiedenen Orten in den Unionsrepubliken Russland,Ukraine und Weißrussland ausgeführt. Der Ortsname „Katyn“ repräsentiert in Polen diese Mordreihe und wurde zum nationalen Symbol für das Leiden von Polen unter sowjetischer Herrschaft im Zweiten Weltkrieg.

Im Sommer 1942 fanden polnische Zwangsarbeiter der Deutschen bei Katyn ein Massengrab der Ermordeten. Das NS-Regime gab die Funde ab 11. April 1943 bekannt, um die Anti-Hitler-Koalition zu schwächen und von eigenen Verbrechen abzulenken. Die Sowjetunion leugnete ihre Verantwortung, lehnte eine internationale Untersuchung ab und lastete das Verbrechen dem NS-Regime an. An dieser Geschichtsfälschung hielt sie bis 1990 fest.

In den 1950er-Jahren bewiesen polnische Historiker und ein vom US-Kongress eingesetzter Ausschuss die NKWD-Täterschaft. Nach neuen Dokumentfunden dazu räumte der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow am 13. April 1990 die Verantwortung der Sowjetunion für diese Massenmorde ein und entschuldigte sich später beim polnischen Volk. Die Ministerpräsidenten Russlands und Polens, Wladimir Putin und Donald Tusk, gedachten 2010 in Katyn erstmals gemeinsam des Verbrechens und seiner Opfer.

Noch lebende Täter wurden jedoch nicht strafverfolgt. Opferangehörige klagten in Russland erfolglos auf Einsicht in die Ermittlungsakten, behördliche Auskunft über die Todesumstände der Opfer, deren juristische Rehabilitierung und Entschädigungen.

Hintergründe

Sowjetisierung Ostpolens

Die Zweite Polnische Republik befand sich seit ihrer Gründung 1918 im Konflikt mit Sowjetrussland. Polen siegte imPolnisch-Sowjetischen Krieg und erhielt im Friedensvertrag von Riga (1921) erhebliche Teile der Ukraine und Weißrusslands zurück, die bis 1795 zu Polen-Litauen gehört hatten. Die Sowjetunion dagegen sah diese Gebiete als rechtmäßigen eigenen Landesteil und wollte ihre ehemalige Grenze zu Polen wiederherstellen. Der polnische Staatschef Józef Piłsudski erstrebte britisch-französische Garantieerklärungen und Bündnisse mit kleineren Nachbarstaaten in Osteuropa, um Polens Unabhängigkeit gegen sowjetisches und deutsches Vormachtstreben zu sichern. 1932 wurde der polnisch-sowjetische Nichtangriffspakt geschlossen und 1934 um zehn Jahre verlängert.

Am 23. August 1939 steckten das Deutsche Reich und die Sowjetunion im Hitler-Stalin-Pakt ihre Interessengebiete in Osteuropa ab. In einem geheimen Zusatzprotokoll vereinbarten sie unter anderem „für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung“ eine Aufteilung Polens. Nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 besetzte die Rote Armee am 17. September Ostpolen, ebenfalls ohne Kriegserklärung. Die polnische Regierung floh nach Rumänien. Viele polnische Soldaten flohen ins Ausland oder ergaben sich. Die Rote Armee machte in Ostpolen etwa 250.000 Kriegsgefangene.

Gemäß dem deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28. September teilten die Sieger Polen auf und unterstützten einander dabei, polnische Widerstandsbewegungen in ihrem Besatzungsgebiet zu unterdrücken. Sie zerstörten je auf ihre Weise den polnischen Staat, seine Verwaltungsstrukturen, Parteien und Institutionen. Beide Seiten verfolgten kirchliche Amtsträger und die intellektuelle Elite. Dabei verübten die Deutschen auch Massenmorde an polnischen Juden. Die Sowjetunion rechtfertigte ihre Besetzung Ostpolens als angebliche Befreiung dort lebenderUkrainer und Weißrussen von polnischer Gewaltherrschaft. Nach manipulierten Volksabstimmungen schloss sie die besetzten Gebiete an benachbarte Unionsrepubliken an. Das Politbüro befahl den Militärtribunalen der Roten Armee, „Konterrevolutionäre“ in den ukrainischen und weißrussischen Grenzregionen der Sowjetunion hinrichten zu lassen. Bestimmte Berufsgruppen wurden allgemein als antisowjetisch eingestuft, vor allem polnische Berufs- oder Reserveoffiziere, Polizisten, Beamte, Richter, Rechtsanwälte, Lehrer, Kleriker und Grundbesitzer. Viele davon wurden aufgrund vorgefertigter Listen oder von Denunziationen verhaftet und deportiert.

Diese und weitere Maßnahmen ähnelten den „nationalen Operationen“ des NKWD während des Großen Terrors (1936–1938), mit denen in allen nichtrussischen Unionsrepubliken die gesamten Führungsschichten entmachtet und umgebracht wurden. Eine davon war die „Polnische Operation“, in der von 143.000 verhafteten Sowjetbürgern polnischer Herkunft, mit polnisch klingenden Namen oder Kontakten nach Polen bis Oktober 1938 111.091 erschossen wurden. Diese politische Säuberung wurde von einer Kampagne gegen angebliche Sabotage-, Spionage- und Militär-Organisationen Polens auf sowjetischem Boden begleitet.

Lagersystem Lawrenti Beria (1899–1953), seit 1938 Volkskommissar (Minister) des NKWD

Am 18. September 1939 unterstellte das Politbüro die Aufnahmelager für die ostpolnischen Kriegsgefangenen dem NKWD. Am 19. September befahl dessen Leiter, Volkskommissar Lawrenti Beria, eine „Verwaltung für Kriegsgefangene und Internierte“ (Uprawlenije po delam wojennoplennych i internirowannych; UPWI) und acht Lager einzurichten. Zu deren Chef ernannte er Pjotr Soprunenko. Die UPWI wurde aus der Hauptverwaltung für Straflager (Gulag) heraus erst aufgebaut und war nicht auf hunderttausende Gefangene vorbereitet. Ihre Aufnahme- und Übergangslager waren überbelegt und hatten kaum Unterkünfte. Die Gefangenen hungerten, mussten unter freiem Himmel schlafen, Post war verboten. Ab 1. Oktober registrierte man sie und notierte in Fragebögen ihre soziale Herkunft, schulische und militärische Ausbildung, Beruf, Parteizugehörigkeit und ihren Familienstand. Ihr Tagesablauf war genau geregelt, jedoch durften sie sich im Lager frei bewegen. Sie wurden politischer Indoktrination ausgesetzt und durften ihre Religion nicht ausüben. In dieser ersten Phase starben schon Zehntausende. Nur etwa 82.000 der polnischen und weißrussischen Kriegsgefangenen sollen bis 1941 überlebt haben.

Auf Befehl des Politbüros vom 3. Oktober 1939 entließ das NKWD bis zum 19. November rund 42.400 Ukrainer und Weißrussen aus den überfüllten Lagern. Rund 43.000 westpolnische Gefangene wurden an die deutsche Wehrmacht übergeben, im Gegenzug erhielt die Sowjetunion knapp 14.000 Gefangene, die in Ostpolen zu Hause waren. Bei diesem Austausch ging es nur um Mannschaftsdienstgrade und Unteroffiziere. Rund 39.600 ostpolnische Gefangene behielt das NKWD in Gewahrsam. Davon mussten 24.600 Soldaten und Unteroffiziere Zwangsarbeit leisten. Rund 15.000 Offiziere, mehrheitlich Reservisten, sowie Polizisten und Gendarmen wurden auf drei Sonderlager verteilt. Davon befanden sich nach NKWD-Akten am 1. April 1940 rund 4600 Offiziere in Koselsk (Oblast Kaluga), rund 3900 Offiziere in Starobelsk(Oblast Lugansk, Ukraine) sowie etwa 6400 Polizisten, Gendarmen, Grenzsoldaten, Justizpersonal und Grundbesitzer inOstaschkow (Seligersee).

Sonderlager

In den Sonderlagern mussten die Ankömmlinge sich Baracken, Toiletten und Waschräume selbst bauen. Auch hier mangelte es an Nahrungsmitteln, Wasser und Hygiene. Die Gefangenen mit höheren Militärrängen erhielten Privilegien, die ihnen nach dem Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen von 1929 zustanden. Die Sowjetunion hatte dieses Abkommen nicht unterzeichnet und betrachtete die in Ostpolen festgenommenen polnischen Militärs wegen der fehlenden Kriegserklärung offiziell nicht als Kriegsgefangene. Dennoch gewährte sie ihnen mit der Einrichtung der UPWI, der Sonderlager und der Vorzugsbehandlung höherer Dienstgrade einen Sonderstatus. Sie informierte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) über die drei Lager, erlaubte ihm aber generell keine Lagerinspektionen.

Auf Befehl Berias vom 8. Oktober 1939 richtete das NKWD ein Spitzelsystem in den Lagern ein, deren Insassen es großenteils als besonders sowjetfeindlich einstufte. Geheimdienstler und Verhörspezialisten sollten in von der Lagerleitung unabhängigen Verhören mögliche Agenten, Mitglieder nationalistischer Organisationen und Zionistenermitteln. Sie unterteilten die Gefangenen in Kategorien wie „Spitzel“, „Saboteur“, „Terrorist“ oder „Verschwörer“, beobachteten und infiltrierten einige dieser Gruppen näher, um „Konterrevolutionäre“ herauszufiltern. Als „Volksfeinde“ galten polnische Sozialdemokraten, Nationaldemokraten, Piłsudski-Anhänger, höhere Offiziersränge, sowjetische Flüchtlinge sowie Gründer von Selbsthilfegruppen und deren Teilnehmer. Die Spitzel ermittelten Personen, die religiöses Leben und Bildung unter den Gefangenen organisierten, und protokollierten patriotische, prowestliche und antisowjetische Aussagen. Sie deuteten auch unpolitische Vorträge als Deckmantel für konterrevolutionäre Tätigkeit. Nach ihren Berichten ließen sich die Gefangenen nur zur Selbstversorgung des Lagers zwingen, nicht aber zur Zusammenarbeit mit ihren Bewachern. Von Beginn an verweigerten und behinderten die Gefangenen die Registrierung, etwa indem sie falsche Personendaten angaben. In Verhören sprachen sie nur Polnisch, boykottierten die Lagerarbeit und Propagandavorführungen, kritisierten Indoktrinationsvorträge, deckten Bildungsmängel der Verhörer auf und feierten trotz Verboten nationale Gedenktage. Wenige Dutzend, darunter eine Gruppe um Zygmunt Berling in Starobelsk, ließen sich auf eine Zusammenarbeit ein. Insgesamt scheiterte der Versuch der Anwerbung und Umerziehung.

In Starobelsk forderten über 100 gefangene Ärzte und Apotheker am 30. Oktober ihre sofortige Freilassung gemäß der Genfer Konvention. Als der Lagerkommandant beim NKWD deren Text anforderte, wurde ihm befohlen, sich nur an die UPWI-Regeln zu halten. Als er den Gefangenen daraufhin Post an Angehörige verbot, protestierten diese erneut mit Hinweis auf die Genfer Konvention. Das NKWD gab nach und erlaubte ihnen begrenzten Briefwechsel und Empfang von Lebensmittelpaketen. Am 24. November wies Soprunenko Beria darauf hin, die meisten Polen seien nun sowjetische Staatsbürger und keine Kriegsgefangenen. Am 29. November, erklärte der Oberste Sowjet die Bevölkerung des sowjetisch besetzten Ostpolens zu sowjetischen Staatsbürgern. Auf Vorschlag Berias ließ das Politbüro ab 3. Dezember die Berufsoffiziere unter den Gefangenen verhaften. Damit verloren sie ihren Sonderstatus als Offiziere; diesen einzufordern erfüllte galt nun als konterrevolutionäre Straftat. Damit wollte Beria effektive Registrierungen und Verhöre erzwingen. Daraufhin forderten die Gefangenen in Starobelsk mit weiteren Protestbriefen die Rechte von Kriegsgefangenen, weil sie auf polnischem Boden gefangen genommen worden waren, außerdem Aufklärung über den Festnahmegrund und zahlreiche Verbesserungen des Lageralltags. Ein Lagerinspektor berichtete Beria von Chaos, Korruption, Kleinkriminalität und Materialmängeln in Ostaschkow und empfahl den kompletten Austausch des Lagerpersonals.

Ab Dezember 1939 entsandte Beria neue, diesmal geschulte und erfahrene Verhörer, um die Registrierungen abzuschließen und die verhafteten Offiziere zu verurteilen. Nachdem auch diese Sonderbrigade am Widerstand der Gefangenen zu scheitern drohte, befahl Beria Sonderuntersuchungen durch ausgewählte Verhörer. Sie sollten die gesamte frühere polnische Auslandsspionage in der Sowjetunion, „Feinde der Sowjetunion“ und „Netzwerke“ aufdecken und Beweise für eine Verurteilung nach Artikel 58 des Strafgesetzbuches der RSFSR sammeln. In den folgenden Monaten mussten die meisten Gefangenen neue Fragebögen ausfüllen und angeblich verheimlichte Militärdienste und Auslandsreisen angeben. Die Fragen zielten darauf, sie als sowjetfeindlich zu kriminalisieren. Die Verhörer erstellten Gefangenendossiers und empfahlen bis Ende Dezember 1939 für 500 als Spione Verdächtigte mehrjährige Lagerhaftstrafen. Weitere Sonderuntersuchungsbrigaden sichteten die Dossiers, stellten Straftatbestände fest und leiteten sie bis Februar 1940 an regionale Sonderausschüsse weiter, die die Urteile fällen sollten. Der Verbleib dieser Dossiers ist ungeklärt. Man nimmt an, dass die meisten Gefangenen ebenfalls zu mehrjähriger Lagerhaft verurteilt wurden oder werden sollten. Dazu unterstellte das höchste sowjetische Militärgericht sie am 28. Januar 1940 der Gerichtsbarkeit des NKWD.

Bis zum 10. Februar 1940 erhielt die „erste Sonderabteilung“ des NKWD unter Leonid Baschtakow alle Verhörergebnisse aus den Lagern. Am 20. Februar schlug Soprunenko Beria vor, 300 Schwerkranke, Invaliden und über 60-Jährige sowie 400 bis 500 nicht als antisowjetisch aufgefallene Fachkräfte zu entlassen. Beria lehnte ab und entschied, die drei Sonderlager unverzüglich räumen zu lassen. Am 22. Februar befahl sein Stellvertreter Wsewolod Merkulow, unter strengster Geheimhaltung alle „Gefängniswärter, Spione, Provokateure, Juristen, Land- und Großgrundbesitzer und Händler“ aus den drei Lagern in regionale NKWD-Gefängnisse zu überführen. Dort sollten sie sofort erneut nach Klassenzugehörigkeit, Nationalität, Dienstgrad und nach ihrer Feindschaft zur Sowjetunion kategorisiert werden. Am 28. Februar legte Soprunenko Beria eine Übersicht zu ihrer Nationalität, am 2. März eine Übersicht zu den als Sowjetfeinden eingestuften Gefangenen vor. Am selben Tag befahl Beria, die schon Verurteilten in Arbeitslager zu überführen, die das NKWD seit Anfang Februar kontrollierte. Die regionalen NKWD-Stellen waren jedoch kaum zur Übernahme der ihnen zugeteilten Gefangenen bereit. Die Geheimaktion wurde nach wenigen Tagen abgebrochen. Die Sonderlager blieben bestehen.

Das Deutsche Reich hatte am 16. November 1939 mit der Sowjetunion vereinbart, Ukrainer, Weißrussen und Russen im deutsch besetzten Teil Polens gegen „Volksdeutsche“ im nunmehr sowjetischen Teil Polens auszutauschen, und zeigte sich auch zur Übernahme weiterer Polen bereit. Auswärtiges Amt und Geheime Staatspolizei (Gestapo) verhandelten seit Februar 1940 mit sowjetischen Stellen über einen Gefangenenaustausch. Die sowjetische Seite protestierte gegen das deutsche Vorhaben, etwa 30.000 in das deutsche Besatzungsgebiet geflohene Ukrainer in die Wehrmacht aufzunehmen, und schlug den Austausch der Ukrainer gegen die Polen der Sonderlager vor. Doch im selben Monat beschloss Generalgouverneur Hans Frank, mit der „AB-Aktion“ weitere „Widerstandspolitiker und sonst verdächtige Individuen“ der polnischen Elite ermorden zu lassen, statt sie weiterhin in deutsche Konzentrationslager zu bringen. Da jene polnischen Offiziere ebenfalls potenzielle Widerstandskämpfer waren und zudem unter das Genfer Abkommen von 1929 fielen, brachen die Deutschen die Austauschverhandlungen Ende Februar ab. Das zum 1. März auslaufende Umsiedlungsabkommen wurde nicht mehr verlängert.

Am 28. Februar besprach Beria mit Stalin das weitere Verfahren mit den Gefangenen der Sonderlager und legte einige Personenakten dazu vor. Dabei schlug er wahrscheinlich vor, sie alle als Staatsfeinde hinrichten zu lassen. Als Grund wird vermutet, dass Stalin Beria seinen Wunsch signalisierte, die Führungselite Polens auszuschalten, dass aber das bisherige Verfahren dafür zu zeit- und personalaufwändig erschien und sich die Mordabsicht bei nur wenigen Mitwissern besser geheim halten ließ. Am 3. März sandte Beria an Stalin einen entsprechenden Beschlussentwurf.

Exekutionsbeschluss

Berias Beschlussentwurf nannte die Gefangenen „eingeschworene Feinde der Sowjetmacht, erfüllt vom Hass auf das Sowjetsystem“. In den Sonderlagern befänden sich 14.736 frühere Offiziere, Beamte, Landbesitzer, Polizisten, Gendarmen, Gefängniswärter, (militärische) Siedler und Geheimagenten, die zu über 97 Prozent polnischer Nationalität seien. In den Gefängnissen der Westukraine und Weißrusslands befänden sich insgesamt 18.632 Personen, darunter 10.685 Polen. Beide Gesamtzahlen wurden nach militärischen Graden, Berufen oder sonstigen Funktionen, Parteizugehörigkeiten und Sozialstatus aufgeschlüsselt. Basierend darauf, dass sie alle „harte, unbelehrbare Feinde“ der Sowjetmacht seien, sei das NKWD anzuweisen, die Fälle der genannten rund 14.700 Polen der Sonderlager und der rund 11.000 Polen der Gefängnisse summarisch zu prüfen und an ihnen die Höchststrafe durch Erschießen anzuwenden, „ohne Vorladung der Inhaftierten und Darlegung der Beschuldigungen, ohne Beschluss über das Ergebnis der Voruntersuchungen und ohne Anklageerhebung“. Die Prüfung und Ausführung dieser Entscheidungen sei einer Troika zu übertragen. Beria setzte sich selbst, Merkulow und Baschtakow als deren Mitglieder ein.

Am 5. März 1940 unterzeichneten die vier Politbüromitglieder Josef Stalin, Kliment Woroschilow, Wjatscheslaw Molotowund Anastas Mikojan den Beschluss. Die Zustimmung von Lasar Kaganowitsch und Michail Kalinin wurde mit „Dafür“ notiert. Berias Name wurde (wahrscheinlich von Stalin) aus den vorgeschlagenen Troika-Mitgliedern gestrichen, der Name von Bogdan Kobulow wurde ergänzt. Alle sechs Unterzeichner hatten höchste, teils mehrere Staatsämter inne. Das Todesurteil für rund 25.000 Menschen war vorgegeben. Die Troika sollte es nur bestätigen, also den bereits gefällten individuellen Urteilen der Sonderausschüsse zustimmen.

Laut erhalten gebliebener Aktennotiz gab Merkulow seine Kopie „Nr. 41“ am 28. März 1940 an die Kanzlei des Zentralkomitees (ZK) zurück. Demnach waren mindestens 41 Personen schriftlich über den Beschluss informiert. Das Originaldokument wurde in einem auf Stalins Befehl eingerichteten Sonderarchiv des ZK aufbewahrt. Es befand sich in einem versiegelten Umschlag in derselben Mappe wie das geheime Zusatzabkommen zum Hitler-Stalin-Pakt. Da auf dem Umschlag vermerkt war, dass der spätere Staatschef Juri Andropow ihn 1981 geöffnet hatte, nehmen Historiker eine Einsichtnahme aller KPdSU-Generalsekretäre seit Stalin an.

Vorbereitung

Am 2. März 1940 befahl das Politbüro die Deportation von rund 61.000 Polen aus besetzten Gebieten, großenteils Angehörige der Sonderlagerinsassen. Am 13. April wurden 25.000 davon in die Kasachische Sozialistische Sowjetrepublik deportiert, wo sie Zwangsarbeit verrichten mussten. Frauen und Kinder appellierten vergeblich an Stalin, ihre Gatten und Väter freizulassen. Ihre Wohnungen wurden Rotarmisten und KP-Mitgliedern zur Verfügung gestellt. Dies war Teil einer Deportationsreihe von Februar 1940 bis Juni 1941, die mindesten 320.000, eventuell bis zu 1.692.000 Polen betraf.

Bei einer zweitägigen Geheimkonferenz in der NKWD-Zentrale Ende Februar/Anfang März koordinierten die zuständigen Verwaltungsleiter den Abtransport der Gefangenen aus den Sonderlagern. Beria beendete die Arbeit der Sonderausschüsse. Gerüchte wurden gestreut, man müsse die Aufnahme von kriegsgefangenen Finnen vorbereiten. Das sollte wahrscheinlich die Mordabsicht tarnen, da der sowjetische Winterkrieg gegen Finnland fast beendet war (13. März 1940), mit viel weniger finnischen Kriegsgefangenen zu rechnen war und schon ein Lager für sie bereitstand. Die NKWD-Zentrale verbot den Lagerkommandanten, Urteile der Troika vor dem Abtransport bekanntzugeben. Zur Tarnung wurde den Polen ihre Verlegung in Arbeitslager angekündigt.

Am 15. und 16. März befahl Soprunenko den Lagerkommandanten und Leitern der Sonderabteilungen die „Organisierung des Abtransports der Kriegsgefangenen nach ergangenem Urteil“. Dabei wurde der ganze Ablauf festgelegt: Amtliche Befehle zum Abtransport sollten den Gefangenen vor ihrer Übergabe verlesen werden. Die Übergabeorte an Wachpersonal und Transportbegleiter wurden bestimmt. Die Waggons sollten jeweils mit Gruppen aus gleichen oder benachbarten Regionen besetzt werden, um ihnen ihre Entlassung vorzutäuschen. Fragen nach dem Transportziel sollten einheitlich mit „zur Arbeit in ein anderes Lager“ beantwortet werden. Aus verlässlichen NKWD-Angehörigen wurden Truppen zum Weitertransport von den Zielbahnhöfen zu den Hinrichtungsplätzen, Fotografen der Exekutionen, Todesschützen, Bestatter und weitere „Liquidatoren“ bestimmt. Ab dem 16. März war den Gefangenen jeder Briefverkehr verboten. Sonderfahrpläne für die Transportzüge wurden erstellt. Bis Ende März wurden alle Wachmannschaften detailliert eingewiesen. Ab 1. April ließ sich die Troika Listen aus den Lagern mit den Gefangenenakten zusenden. Die Troikamitglieder setzten Todesurteile in vorgefertigte Formblätter ein und sandten den Lagerkommandanten dann Namenslisten der Personen zu, die sofort an die jeweilige NKWD-Stelle der Zielregion zu verlegen (zum Exekutionsort zu bringen) seien. Die Gesamtaktion leitete Merkulow.

Ausführung

Die Gefangenen wurden in Güterzügen an ihre Hinrichtungsorte transportiert. Die Züge aus Koselsk fuhren ab dem 3. April 1940 nach Katyn, wo die Opfer bis zum 11. Mai ermordet wurden, die aus Starobelsk nach Charkow (5. April bis 10. Mai), die aus Ostaschkow nach Kalinin (4. April bis 22. Mai). Die Toten wurden nachts in zuvor ausgebaggerten Gruben begraben.

Ein Überlebender, Tagebuchnotizen eines Opfers und Dorfbewohner beschrieben die Vorgänge beim Bahnhof von Gnjosdowo: Soldaten des NKWD umstellten den Umsteigeplatz mit aufgepflanzten Bajonetten. Je etwa 30 Ankömmlinge mussten in einen schwarzen, in Zellen unterteilten Gefängnisbus mit weiß bemalten Scheiben umsteigen. Im Bus nahm man den Opfern Uhren, Geld, Schmuck, Gürtel und Taschenmesser ab. Er fuhr zum nahe gelegenen Hinrichtungsort im Wald und kehrte leer zurück. Dann bestieg ihn die nächste Gruppe. Ob die Opfer am Rand der Gruben oder in der Nähe erschossen wurden, ist ungeklärt. Die meisten lagen einheitlich ausgerichtet mit dem Gesicht nach unten darin, in Schichten übereinander gestapelt. Nur in wenigen Gräbern lagen sie ungeordnet. Etwa 20 % hatte man die Hände mit einem Seil auf den Rücken gefesselt. Einigen hatte man zusätzlich den Mantel oder einen Sack über den Kopf gezogen, ihn um den Hals verschnürt und Sägemehl in den Mund gestopft, so dass die Opfer bei Gegenwehr erstickt wären. Viele wiesen Knochenbrüche und vierkantige Einstiche von Bajonetten auf. Fast alle erhielten einen Genickschuss bei aufgesetzter Mündung mit einheitlichem Schusswinkel, nur manche einen zweiten. Die Täter benutzten deutsche Walther-Pistolen und 7,65-Millimeter-Patronen. Diese bei Gustav Genschow (Geco) in Durlach hergestellte Munition hatte die Sowjetunion seit 1928 in großen Mengen importiert.

Nach Aussagen von Tatbeteiligten wurden einige Polen aus Koselsk im Keller des NKWD-Sitzes in Smolensk erschossen. Jedes dieser Opfer wurde mit dem Kopf über einen Abflussschacht gelegt und erhielt einen Pistolenschuss in Hinterkopf oder Schläfe. Nachts wurden die Toten in die Massengräber gelegt. In Charkow mussten NKWD-Leute 15 große Gruben ausheben. Die Gefangenen aus Starobelsk wurden zuerst in Gefängniszellen eingesperrt und mussten ihr Gepäck und Geld abgeben. Um sie zu täuschen, erhielten sie eine Quittung dafür. Je fünf bis sechs Personen wurden dann in einen Korridor darüber geführt und dort überraschend gefesselt. Sie mussten einzeln einen Raum betreten, in dem ein Staatsanwalt Familienname und Geburtsjahr notierte. Beim Verlassen des Raums erschoss sie ein NKWD-Angehöriger; ein weiterer holte die Leiche ab. Im NKWD-Sitz von Kalinin wurde nach Aussage Dmitri Tokarews (Leiter des NKWD der Oblast Kalinin 1938–1945) von 1991 jeder Gefangene nach Feststellung der Personalien sofort in Handschellen gelegt und in einen schalldicht gedämmten Kellerraum geführt, wo zwei Männer seine Arme festhielten, ein dritter ihm in den Schädel schoss. Der Getötete wurde durch eine zweite Tür in ein Transportfahrzeug gelegt. Manche wurden auch am Rand der Gruben erschossen. Danach tranken die Täter täglich Wodka. Der Kommandant von Starobelsk musste die Privatpost und die Personalakten der Ermordeten seines Lagers verbrennen, nur die Akten der sowjetfreundlichen Gefangenen ausnehmen und der NKWD-Zentrale zusenden.

Ausführende Die wichtigsten Täter nach Politbüro, Troika und NKWD-Zentrale waren die Leiter der regionalen NKWD-Behörden Jemeljan Kuprijanow (Smolensk), Pjotr Safonow (Charkow) und Dmitri Tokarew (Kalinin). Sie wählten als Kraftfahrer, Baggerführer, Bestatter, Fotografen, Bewacher und Pistolenschützen geeignete Untergebene aus. Weitere Täter gehörten zu dem Bataillon, das die Transporte begleitete. Sie kannten auch die traditionellen Erschießungsorte, von denen manche schon seit den 1920er-Jahren genutzt wurden.

Die Erschießungen in Smolensk und Katyn führten über 50 NKWD-Männer aus der Region aus. Ihr Leiter war der Gefängnisdirektor Iwan Stelmach. Die Morde in Charkow leitete der Verwaltungschef Timofei Kuprin. Das dreiköpfige Moskauer Exekutionskommando für Kalinin leitete Major Wassili Blochin. Er meldete die Mordquoten, die er sich auferlegt hatte, täglich nach Moskau, erschoss anfangs selbst 300 Gefangene pro Nacht und entschied später, die Mordrate auf 250 Personen pro Nacht zu senken.

Schon vor Beginn der Morde hatte Beria am 17. März 1940 einmal sechs und zweimal drei tatbeteiligte NKWD-Funktionäre aus den Regionalbehörden und Lagern befördert. Am 26. Oktober 1940 belohnte er 124 namentlich genannte Täter „für die erfolgreiche Erfüllung von Sonderaufträgen“ mit einem zusätzlichen Monatsgehalt (43 Personen) oder 800 Rubeln (81 Personen). Viele Tatbeteiligte stiegen bald in höhere Ämter der Partei oder der Staatssicherheit auf und erhielten den Orden des Roten Sterns. Widerspruch von Tätern gegen die Befehle ist nicht bekannt.

Die Opfer

Zahlen und Orte

Eine bis 25. Mai 1940 erstellte Statistik der UPWI summierte die abtransportierten polnischen Kriegsgefangenen aus den Sonderlagern und ihre Zielorte:

  • Von 6399 aus Ostaschkow kamen 6287 nach Kalinin.
  • Von 4609 aus Koselsk kamen 4404 nach Smolensk.
  • Von 3974 aus Starobelsk kamen 3896 nach Charkow.

Demnach wurden 14.587 Gefangene an den Zielorten ermordet. 395 wurden ausgenommen und in das Lager Pawlischtschew Bor bei Juchnow verlegt. Nicht erfasst sind hier polnische Opfer aus NKWD-Gefängnissen und Arbeitslagern, in die etwa 4000 Polen aus Pawlischtschew Bor und einige aus den Sonderlagern verlegt wurden. Ein Dokument der UPWI vom Dezember 1943 beziffert die polnischen Sonderlagergefangenen, die von 1939 bis 1941 an regionale NKWD-Stellen übergeben wurden, auf 15.131.

Der KGB-Vorsitzende Alexander Schelepin schrieb am 3. März 1959 an Parteichef Nikita Chruschtschow, aufgrund eines Beschlusses der Troika des NKWD 1940 habe man 21.857 Vertreter der polnischen Bourgeoisie erschossen, nämlich

  • 4421 im Wald bei Katyn,
  • 3820 (die aus Starobelsk) bei Charkow
  • 6311 (die aus Ostaschkow) bei Kalinin,
  • 7305 aus anderen Lagern und Gefängnissen der Westukraine und Westweißrusslands.

Er schlug Chruschtschow vor, alle im NKWD archivierten Personalakten der Ermordeten zu vernichten und nur die Protokolle der Troika und die Akten zur Durchführung der Exekutionen aufzubewahren.

Die 1994 an Polen übergebene „ukrainische Katynliste“ nennt 3435 Polen namentlich, die in NKWD-Lagern der Ukraine ermordet wurden. Eine analoge weißrussische Liste führt 3870 polnische Mordopfer auf.

Bisher wurden folgende Gräber mit Opfern aufgefunden, die auf den Exekutionsbeschluss vom 5. März 1940 zurückgeführt werden:

  • Wald bei Katyn: 4410 bis 4430 polnische Offiziere.
  • Dorf Mednoje: rund 6300 polnische Armee-, Polizei- und Gendarmerieoffiziere sowie einige Zivilisten. Sie wurden in einem NKWD-Keller in Kalinin erschossen.
  • Wald- und Parkgebiet bei Pjatichatki: 3739 bis 3896 Offiziere, erschossen in einem NKWD-Gefängnis in Charkow.
  • Waldgelände Kuropaty: 3700 bis 4500 Personen, erschossen wahrscheinlich im NKWD-Sitz in Minsk.
  • Wald von Bykownja: vermutlich 3435 Polen, da einige davon, die identifiziert wurden, auf der „ukrainischen Katyn-Liste“ verzeichnet waren. Es waren überwiegend Zivilisten aus einem Lager in der Ukraine. Sie wurden wahrscheinlich im NKWD-Sitz von Kiew erschossen. Das Grab wurde 2006 entdeckt.

Man versucht, möglichst viele Opfer der Mordreihe zu identifizieren. Dies erschweren mehrere Umstände: Einige Exekutions- und Begräbnisstätten in der westlichen Ukraine und Weißrussland sind unbekannt. Weißrussische Behörden halten relevante Akten dazu geheim. In Bykownja sind polnische Opfer von 1940 kaum von Opfern der „Polen-Operation“ von 1937/38 in denselben Gräbern unterscheidbar.

Von den maximal 15.587 Ermordeten aus den drei Sonderlagern wurden bisher mindestens 14.542 aufgefunden und größtenteils identifiziert. Mindestens 700, eventuell bis zu 900 von ihnen waren jüdische Offiziere. Auch einige Dutzend Priester waren unter den Opfern. Von den weiteren 11.000 zur Tötung vorgesehen Polen wurden mindestens 7315 gefunden. Weitere 1000 bis 2000 gefundene Opfer werden ebenfalls auf den Exekutionsbeschluss für bis zu 25.000 Polen zurückgeführt. Demgemäß werden oft Gesamtzahlen von 22.000 bis 25.000 damals ermordeten Polen genannt.

Unter den Toten von Katyn waren rund 1000 höhere Offiziere, darunter vier Generäle und ein Admiral, sowie rund 3400 andere Offiziere. Über die Hälfte der Gesamtzahl waren Reserveoffiziere, davon über 300 Ärzte, über 200 Piloten, darunter eine Frau, mehrere hundert Richter und Anwälte, mehrere hundert Lehrer, 21 Hochschullehrer, acht Geistliche, einige Großgrundbesitzer und Regierungsbeamte sowie zwei frühere Fußballnationalspieler.

Überlebende

Am 25. und 26. April 1940 ließ Merkulow Listen von insgesamt 395 Personen an die drei Sonderlager senden, die nach Pawlischtschew Bor zu bringen seien. Von dort wurden sie am 1. Juni 1940 nach Grjasowez überführt, wo ein ähnliches Lager neu angelegt worden war.[72] Einige Gefangene wurden auf diplomatische Eingaben anderer Staaten hin verschont oder freigelassen. Andere wurden zunächst für bestimmte Dienste ausgespart und später getötet. Stanisław Swianiewicz wurde erst am Bahnhof Gnjosdowo von den anderen Offizieren seines Transports getrennt. Insgesamt überlebten 432 bis 452 Gefangene aus den drei Lagern. Bis 1990 wurde die sowjetische Geschichtsfälschung vor allem mit ihren Zeugnissen widerlegt.

Suche nach den Vermissten

 In von Deutschland besetzten Gebieten wohnende Angehörige hörten seit Februar 1940 Gerüchte von der Lagerräumung und erwarteten die baldige Rückkehr der Gefangenen. Mit deutscher Erlaubnis bereitete das Polnische Rote Kreuz (PCK) vergeblich deren Empfang vor. Wegen polnischer Bittbriefe erkundigte sich das IKRK ab 14. März bei deutschen Stellen nach dem Verbleib der Erwarteten. Am 6. April antwortete das Auswärtige Amt, die drei Lager bestünden noch und direkter Postverkehr dorthin sei möglich. Ab Mai durften die verschonten polnischen Gefangenen Post empfangen und erfuhren so, dass die Angehörigen ihrer Kameraden seit Wochen nichts mehr von ihnen gehört hatten. Der deutsche Botschafter in Moskau Friedrich-Werner Graf von der Schulenburg leitete polnische Suchanfragen an sowjetische Stellen weiter und stellte bis März 1941 über 1000 Rückführungsanträge. Dann gab er auf, weil das sowjetische Volkskommissariat für Auswärtiges einen sowjetischen Wohnsitz der Gesuchten wissen wollte. Agenten der polnischen Heimatarmee suchten von Juni bis Oktober 1940 in der Umgebung der Lager vergeblich nach Spuren der ehemaligen Insassen.

Wegen wachsender Spannungen mit dem Deutschen Reich erlaubte Stalin ab Oktober 1940 Verhandlungen überpolnische Streitkräfte in der Sowjetunion. Die ohne ihr Wissen verschonten kooperationswilligen Offiziere verlangten, auch national gesinnte Soldaten und Offiziere aufzunehmen. Nach Berlings Memoiren antwortete Beria: „Daraus wird nichts. Diese Leute sind nicht in der UdSSR.“ Merkulow habe ergänzt: „Mit denen haben wir einen großen Fehler gemacht.“ Nach anderen Angaben fügte Beria hinzu: „Wir haben sie den Deutschen übergeben.“ Von Zeugen informiert, suchten polnische Untergrundkräfte daraufhin in deutschen Konzentrationslagern des Generalgouvernements nach den Vermissten.

Infolge des deutschen Überfalls am 22. Juni 1941 vereinbarten die Sowjetunion und die polnische Exilregierung am 14. August die Aufstellung einer polnischen Exilarmee. Weil Stanisław Haller, der polnische Wunschkandidat für deren Oberbefehl, zu den Ermordeten gehörte, erhielt General Władysław Anders das Amt. Er verlangte Auskunft zu allen in der Sowjetunion gefangenen polnischen Militärs, erfuhr aber nur von rund 1000 Offizieren. Auch nach einer Amnestie für alle polnischen Kriegsgefangenen trafen nur wenige Offiziere zur Rekrutierung ein, die ihrerseits nach den vermissten Kameraden fragten. Deshalb richtete Anders ein zentrales Suchbüro ein. Dessen Leiter Józef Czapski hörte viele Gerüchte über Deportationen, Massensterben oder die Ermordung der Vermissten. Letztere hielt er für undenkbar, weil Massenmorde in sowjetischen Straf- und Arbeitslagern selten waren und ein Mordvorwurf im damaligen Kriegsbündnis nicht opportun war. Das Suchbüro trug nach Angaben von Überlebenden die letztbekannten Daten der Vermissten zusammen und stellte fest, dass sie nicht vor März 1940 entlassen und nicht an die Wehrmacht überstellt worden sein konnten.

Von September 1941 bis November 1942 fragten Anders, der polnische Botschafter in Moskau Stanisław Kot und Ministerpräsident Władysław Sikorski sowjetische Regierungsvertreter immer wieder nach den Vermissten und übergaben Suchlisten, weil das NKWD angeblich keine Namenslisten von ihnen hatte. Sie erhielten verschiedene Ausflüchte: Man habe alle Vermissten freigelassen, sie seien noch in entlegenen Gebieten, auf langen Fußmärschen verschollen, umgekommen, nach Rumänien oder in die Mandschurei geflohen. Das behauptete Stalin am 3. Dezember 1941 gegenüber Sikorski. Dabei lag ihm ein UPWI-Bericht vor, der die „Übergabe“ (Ermordung) von 15.131 Personen an regionale NKWD-Stellen feststellte. Ein sowjetisches Gesprächsprotokoll fehlt. Am 18. März 1942 erklärte Stalin zum ersten und einzigen Mal, die Lager der Vermissten könnten den Deutschen in die Hände gefallen sein. Er reduzierte die Rekrutierung und Verpflegung für polnische Truppen stark. Im April 1942 vereinbarte Anders daher mit Stalin, die Exilarmee in den Iran zu verlegen.

Czapskis Büro setzte die Suche unter erschwerten Umständen vom Iran aus fort. Im Juni schloss die Sowjetunion alle polnischen Militärvertretungen und Konsulate auf ihrem Boden. Polens Exilregierung nahm an, Stalin wolle den Zugang zu den vermissten Offizieren verhindern. Um Zugeständnisse für noch auf sowjetischem Gebiet lebende Polen zu erhalten, verzichtete sie auf weitere Nachforschungen. Im Spätsommer 1942 erfuhr sie wahrscheinlich, dass polnische Kriegsgefangene der Deutschen bei Katyn Gräber von Polen entdeckt hatten. Denn am 19. November erklärte der polnische Verteidigungsminister Marian Kukiel dem sowjetischen Botschafter in London, Polens Regierung wisse, was mit den vermissten Offizieren geschehen sei, und werde bald Fakten dazu veröffentlichen. Im Januar 1943 schrieb eine polnische Exilzeitung, hochrangige sowjetische Beamte hätten einen großen Fehler gestanden. „Vielleicht genauso blutig wie groß?“ Die Sowjetunion möge den Fehler nicht wiederholen, sondern weitmöglichst „berichtigen“, indem sie den Rest vor der Vernichtung bewahre.

Fund der Massengräber bei Katyn Lage der Gräber zwischen Katyn und Gnjosdowo

Am 27. Juli 1941 eroberte die deutsche Heeresgruppe Mitte Smolensk. Ein sowjetischer Kriegsgefangener bezeugte der Wehrmacht-Untersuchungsstelle, alle polnischen Offiziere in sowjetischem Gewahrsam seien ermordet worden. Bewohner der Gegend erzählten Wehrmachtssoldaten von Schüssen und Gräbern auf dem Ziegenberg bei Katyn. Davon erfuhr auch der Führungsstab des Nachrichten-Regiments 537, der seit Oktober 1941 in einem NKWD-Haus am Dnepr nahe den Gräbern wohnte. Die Hinweise blieben unbeachtet.

Von der Exilregierung mit der Suche beauftragte polnische Kriegsgefangene, die im Sommer 1942 für die Organisation Todt in Gnjosdowo Zwangsarbeit leisteten, gingen den Gerüchten nach. Sie fanden einige bepflanzte Erdhügel im Wald, gruben eine Leiche in polnischer Uniform aus und markierten den Fundort mit zwei Birkenholzkreuzen.

Im August 1942 sprachen der Abwehrchef der Heeresgruppe Mitte Rudolf-Christoph von Gersdorff und der Regimentskommandeur Friedrich Ahrens erstmals über die Gerüchte. Bald darauf begann die Geheime Feldpolizei sie zu prüfen. Ein russischsprachiger Aufruf versprach der Bevölkerung um Smolensk eine Belohnung für Hinweise auf Erschießungen polnischer Offiziere. Spätestens im Februar 1943 bezeugte der Bauer Kisseljow bei den Besatzern unter Eid, im Frühjahr 1940 seien vier bis fünf Wochen lang täglich drei bis vier Lastwagen in den Wald gefahren. Er habe Schüsse und Schreie von Männerstimmen gehört. Im Sommer 1942 habe er die Polen zu den Grabhügeln geführt und ihnen Werkzeug zum Graben geliehen. Ahrens dagegen sagte anfangs aus, er selbst habe die Gräber zufällig im Februar 1943 entdeckt. Diese Version sollte vermutlich die vorherigen Recherchen der Feldpolizei verdecken.

Obduktionen

Die Feldpolizei vernahm seit Februar 1943 weitere Zeugen, brach aber Probegrabungen im Wald wegen Bodenfrost ab. Ihren Zwischenbericht erhielt der Rechtsmediziner Gerhard Buhtz, der seit 1941 eine „Sonderkommission zur Aufdeckung bolschewistischer Greueltaten und völkerrechtswidriger Handlungen“ leitete. Das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) erlaubte ihm Exhumierungen bei Katyn. Ab 29. März mussten 35 sowjetische Zivilisten und Kriegsgefangene das erste Massengrab und dessen Leichen freilegen. Diese obduzierten Buhtz und sein Team vor Ort und in einem Feldlabor. Bis 11. April identifizierten sie 160 Tote. Die Feldpolizei bewachte das Gelände und stellte Ausweise, Briefe, Tage- und Soldbücher, Fotografien und Münzen aus den Gräbern aus, anhand derer die Opfer identifiziert werden konnten.

Ab dem 3. April informierten zwei Kriegsberichterstatter der SS das Reichssicherheitshauptamt und dasReichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) über die Funde und die Wehrmachtsaktionen dazu. Noch bevor Propagandaminister Joseph Goebbels davon erfuhr, entwarf sein Vertreter Alfred-Ingemar Berndt die Grundzüge der folgenden Katyn-Kampagne. Am 9. April veranlasste Goebbels, die Funde ausgewählten Polen zu zeigen, um das Bündnis der polnischen Exilregierung mit Stalin zu diskreditieren. Mit Erlaubnis der polnischen Exilregierung flogen am 10. April mehr als zehn im RMVP-Auftrag eingeladene Polen von Warschau nach Katyn, darunter Edmund Seyfried, Direktor der polnischen Sozialfürsorge, und der Schriftsteller Ferdynand Goetel. Sie überprüften die Identitäten, Todesursachen und Todeszeitpunkte der ersten von Buhtz exhumierten Leichen und informierten die Exilregierung. Goetel bestätigte auf deutsche Nachfrage, er halte die Toten für ehemalige Insassen des Lagers Koselsk. Das bestärkte das RMVP, die Funde gegen Stalin benutzen zu können.

Nun war das PCK bereit, ranghohe Vertreter zu entsenden. Vom 14. bis 17. April besuchten PCK-Generalsekretä rKazimierz Skarżyński und elf Begleiter Katyn, darunter ein von Erzbischof Adam Stefan Sapieha beauftragter katholischer Priester. Ihr Bericht bestätigte die Obduktionsergebnisse von Buhtz. Daraufhin bildete das PCK einen zwölfköpfigen „Technischen Ausschuss“. Dieser obduzierte unter der Leitung von Marian Wodziński zusammen mit dem Team von Buhtz bis zum 3. Juni hunderte weitere Leichen, sammelte ihre Habseligkeiten und bestattete sie dann. Der PCK-Ausschuss weigerte sich, die weit überhöhten Opferzahlen der NS-Propaganda zu bestätigen.

Mit Hinweis auf einen Befehl Adolf Hitlers, „die Angelegenheit in der gesamten Welt mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auszuwerten“, beauftragte das RMVP das Auswärtige Amt am 13. April, das IKRK zur Exhumierung einzuladen. Da das dazu nötige sowjetische Einverständnis nicht zu erwarten war, schlug Berndt am 17. April vor, den Todeszeitpunkt der Opfer durch eine europäische Ärztekommission bestätigen zu lassen. Ab 20. April kontaktierten deutsche Botschaften geeignete Kandidaten, erhielten jedoch nur aus verbündeten, besetzten oder abhängigen Staaten Zusagen. Am 28. April reisten 12 von 13 eingeladenen Pathologen nach Katyn. François Naville aus der neutralen Schweiz behielt sich vor, als Privatperson anzureisen. Vom 29. bis 30. April obduzierte diese internationale Ärztekommission einige unter ihrer Aufsicht exhumierte Leichen. Ferenc Orsós (Ungarn) leitete die Obduktionen und Abfassung des Ergebnisberichts, dem alle Ärzte noch in Smolensk zustimmten. Als Todesursache habe man nur Genickschüsse gefunden. Anhand des Verwesungsgrades der Leichen, Zeugenaussagen der Dorfbewohner, Tagebucheinträgen, Brief- und Zeitungsdaten, Winterkleidung, fehlenden Mückenstichen, vierstrahligen Stichverletzungen durch Bajonette und Jahresringen der Bäume auf den Gräbern sei zu schließen, dass die Getöteten im März und April 1940 erschossen worden seien. Täter nannte der Bericht nicht. Die Teilnehmer zweifelten jedoch nicht an der sowjetischen Täterschaft. Am 4. Mai übergab Orsós den Bericht an Reichsgesundheitsführer Leonardo Conti. Das Auswärtige Amt gab den Ärztebericht 1943 zusammen mit den Berichten von Buhtz und vom PCK als „Amtliches Material zum Massenmord von Katyn“ heraus.

Die polnischen Gerichtsmediziner teilten der Ärztekommission ihre Befunde mit und bestätigten, alles spreche für eine NKWD-Täterschaft. Nach ihrer Rückkehr nach Polen griffen jedoch weder die deutschen Besatzer noch die polnische Exilregierung öffentlich auf ihren Bericht zurück. Nur wenige polnische Katynbesucher berichteten in Medien der deutschen Besatzer über ihre Eindrücke und wurden deshalb von polnischen Kommunisten verfolgt.

Nach deutschen Angaben wurden bis zum 7. Juni 4143 Leichen exhumiert und 2815 davon identifiziert. Nach dem Abschlussbericht des PCK vom 3. Juni wurden 4243 polnische Opfer exhumiert. Nach den mitgeführten Dokumenten und gefundenen Patronenhülsen vermutlich deutschen Ursprungs seien sie von Ende März bis Anfang Mai 1940 mit Kleinwaffen vom Kaliber 7,65 mm erschossen worden. Die Deutschen hätten zu verhindern versucht, dass Angehörige der PCK-Kommission Munitionsteile an sich nahmen, damit die sowjetische Seite sie nicht verwenden konnte. Das NKWD könne Waffen jeglichen Ursprungs benutzt haben. Weil die Rote Armee nahegerückt war, stellten die Deutschen die Exhumierungen am 24. Juni ein, ließen die Gräber zuschütten und übersandten alle Fundstücke an das Staatliche Institut für Gerichtsmedizin in Krakau. Dieses reinigte einen Teil der Funde und übergab sie Opferangehörigen; der größere Teil ging im Krieg verloren.

Folgen bis 1945

Nationalsozialistische Propaganda

Seit dem Hitler-Stalin-Pakt 1939 hatte das NS-Regime schwere Verbrechen der Roten Armee in Osteuropa erwartet und als Hilfe für spätere deutsche Eroberungen begrüßt. Nur das Ausmaß des Massenmords bei Katyn überraschte das NS-Regime. Die Täter zu finden und zu bestrafen war nicht sein Interesse. Die NS-Propaganda gab den deutschen Vernichtungskrieg seit 1941 als „Befreiung der Völker der Sowjetunion vom Joch des Bolschewismus“ oder vom „jüdischen Joch“ aus. Dieser Vorgabe folgte die Katyn-Kampagne. Indem die Nationalsozialisten die Funde als deutsches Verdienst und Aufklärung bolschewistischer Gräuel inszenierten, drängten sie die Aufklärungsversuche der Polen an den Rand. Diese wollten nicht als ihre Kollaborateure dastehen.

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